Laetitia Rimpau: Reisen zum Ursprung. Das Mauritius-Projekt von Jean-Marie Gustave Le Clézio

Die im Jahr 1999 von der Fakultät Neuere Philologien der Universität Frankfurt/M. angenommene Dissertation betrachtet die Romane Le Chercheur d’or (1985) und La Quarantaine (1995) sowie den Reisebericht Voyage à Rodrigues (1986) als inhaltliche Einheit und als ein imaginäres Experiment, welches Reise-Thematik und écriture analogisiert: “Reisen meint vor allem Imaginieren und Erinnern, im weiteren das Schreiben.” (S. 73) Nach Ansicht der Verfasserin geht es in jedem dieser Bücher primär um den Vorgang und die Geschichte des Schreibens selbst, da – nach dem Vorbild von Prousts Recherche – einzig “durch die Ecriture [...] das verlorene Kindheitsparadies wiederbelebt und wiedererlebt werden” könne (S. 68). Dieses einzig im Imaginären existierende Paradies – Sinnbild mythischer Totalität – werde in der hier als “Mauritius-Projekt” bezeichneten Textgruppe auf die Insel von Le Clézios Vorfahren projiziert, die so zu einem Experimentierraum avanciere, der es dem Autor erlaube, sich in die “persönliche Genealogie und kollektive Geschichte der Insel” einzuschreiben (S. 5f.). Die Verfasserin deutet die im Rahmen des Mauritius-Projekts als mythische Suchfahrten inszenierten Reisen auf die Inseln Mauritius und Rodrigues weniger als Erziehungs- oder Bildungsfahrten im klassischen Sinn, denn als Bewusstseinsfahrten, deren Erkundung “innerer Räume” (S. 2) ein doppeltes Anliegen verfolge: Die Schilderung der seit Le Clézios Debütroman Le Procès-verbal (1963) an der westlichen Zivilisation leidenden und von der Sehnsucht nach Evasion und mythischer Ganzheit getriebenen Helden wird in den Texten der ab 1975 veranschlagten zweiten Werkphase mit der Suche nach dem Urgrund dichterischer Kreativität korreliert.

Seiten 453 - 457