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Mise en abyme im ‘Frauendienst’ Ulrichs von Liechtenstein

Ein Ritter, der in seiner Zeit als Knappe höchstes Glück darin findet, das Handwaschwasser seiner vrouwe zu trinken, ein Ritter im Minnedienst, der sich ohne mit der Wimper zu zucken einer Schönheitsoperation am Mund unter zieht, ein Ritter, der sich aufgrund eines kommunikativen Missverständnisses den Daumen abhacken lässt, ein Ritter, der als Frau Venus und als König Artus verkleidet turnierend durch die Lande zieht, der sich vor einem Stell - dich ein mit seiner Dame als Aussätziger verkleiden muss und im Burggraben versteckt eine unappetitliche Dusche erleidet – keine Frage, dass diese gerade skizzierten Handlungselemente den Stoff für einen, wenn auch nicht sonderlich spannenden, so doch höchst unterhaltsamen Roman abgeben, den der steirische Ministeriale Ulrich von Liechtenstein in der Mitte des 13. Jahrhunderts gedichtet und mit dem Titel ‘Frauendienst’ versehen hat. Eine ganze Reihe historisch belegbarer Personen tritt in diesem Roman auf, historische Ereignisse wie etwa der Tod des Babenberger Herzogs Friedrichs II. des Streitbaren in der Schlacht an der Leitha am 15.6.1246 werden thematisiert. Um die Verwirrung zu steigern, hat der Autor Ulrich von Liechtenstein einen Ich-Erzähler gleichen Namens erfunden, der zudem auch Protagonist des Romans ist – spätestens damit ist die Frage nach der Gültigkeit des autobiographischen Pakts virulent geworden. Die Episierung literarischer Motive, die dem Minnesang entnommen wurden, und deren Integration in eine Erzählung mit biographischem Gestus haben für einige Irritationen gesorgt und lange die Forschung zum ‘Frauendienst’ bestimmt: Problematisch ist die Bestimmung des Verhältnisses von historischer Wirklichkeit zur literarischen Fiktion sowie von Selbstdarstellung und Selbststilisierung des Protagonisten und Ich-Erzählers zum historisch belegbaren Dichter. Virulent ist ebenso die Frage nach dem rechten Verständnis des Minnedienstes, der im ‘Frauendienst’ konsequent in Handlung umgesetzt wurde. In der letzten Zeit nähert man sich dem ‘Frauen - dienst’ zunehmend mit einem kulturwissenschaftlichen Forschungsinstrumentarium; der Protagonist wurde auf die psychoanalytische Couch Sigmund Freuds gelegt, man attestierte ihm Exzentrizität oder untersuchte aus der Perspektive der gender-Diskussion das Prinzip der Effemination und charakterisierte ihn als Transvestiten. Die Funktion des Lachens im und über den ‘Frauen dienst’ wurde diskutiert, ebenso die manifesten grotesken Elemente. Der ‘Frauendienst’ ist wegen seiner differenzierten Kommunikationswege und -strategien zudem Objekt kommunikationswissenschaftlicher Studien geworden.

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2011.02.03
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1866-5381
Ausgabe / Jahr: 2 / 2011
Veröffentlicht: 2011-12-08
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Dokument Mise en abyme im ‘Frauendienst’
Ulrichs von Liechtenstein