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Über eine Erzählung des Marquis de Sade

Die Geschichte heißt “Augustine de Villeblanche” und so heißt auch die weibliche Hauptperson. Niedergeschrieben hat sie der Marquis de Sade 1788 oder 1789 in der Bastille, und wiedergegeben findet sie sich in den Romanciers du XVIIIe siècle, die mit einem Vorwort von Etiemble 1965 in der “Bibliothèque de la Pléiade” erschienen sind. Es drängt mich, dazu etwas zu sagen – nicht, weil ich etwas erkannt hätte, das ich mitteilen möchte, sondern weil die Erzählung auf eine Frage hinausläuft, die ich nicht beantworten kann. Ist es nicht genauso gerechtfertigt, sich aus solchem Grund zu Wort zu melden, als weil man (wie üblich) glaubt, seine Leser belehren zu sollen? Aufgefordert sind die Kenner und Liebhaber des Marquis, also die “Sadisten”, meine Frage zu entscheiden, denn ich bin weder das eine, noch das andere. Eher schon hielte ich es mit dem nie genug zu bewundernden Peter Gay, in dessen Rise of modern paganism (New York, zuletzt 1995) der bemerkenswerte Satz steht: “... for all the pretentious philosophizing the marquis de Sade injected into his tedious novels, he was never more than a caricature of the Enlightenment whose heir he reclaimed to be” (p. 25), “Tedious”? Ja, das auch, vor allem aber: “disgusting”! “Augustine de Villeblanche” jedoch nehme ich aus von diesem Verdikt. Denn das ist eine pfiffige Geschichte, die ich deswegen kenne, weil ich sie in eine Anthologie französischer Kurzerzählungen aufnehmen wollte, die ich einmal zusammengestellt habe. Ich erinnerte mich an sie und holte sie aus einer Schublade hervor, als ich in der “Süddeutschen Zeitung” vom 21. November 2007 den Bericht über eine “Fernsehmoderatorin” las, die mit ihrer Freundin in der Öffentlichkeit auftrat und ebenso ungeniert, wie frank und fröhlich erklärte: “Ja, wir sind ein Paar”. “Sie versteckt sich nicht, sie verteidigt sich nicht und sie drängt sich nicht auf”, schrieb der Journalist Jens Bisky voller Begeisterung über die junge Dame, die man denn auch als “sehr gut aussehend” bezeichnen konnte. In einem historischen Rückblick führt Bisky dann aus, dass man in früheren Zeiten, vor allem im 18. Jahrhundert, sich weit weniger gescheut hätte, sich zu einer gleichgeschlechtlichen Liebe zu bekennen, als noch vor kurzem. Und er erzählt die schöne Geschichte von Casanova, der Winckelmann besuchte, ohne anzuklopfen sein Zimmer betrat, da richtete der große Mann gerade seine Kleidung wieder her und verabschiedete einen hübschen jungen Mann, der ihn auch besuchen gekommen war. Und man unterhielt sich über Männerliebe. Casanova habe lediglich gefunden, das sei eine “Kuriosität” (berichtet der Journalist), im übrigen aber bekannte er, selbst bei den hübschesten Knaben “komme es bei ihm zu nichts”: “non ci arrivo”, sagte er, wie man sich denken kann.

Seiten 136 - 139

DOI: https://doi.org/10.37307/j.1866-5381.2009.01.08
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 1866-5381
Ausgabe / Jahr: 1 / 2009
Veröffentlicht: 2009-06-22
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