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Unionsrechtliche Vorlagepflicht im Hinblick auf die Annahme eines einseitigen Preisänderungsrechts eines Gasversorgungsunternehmens

Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG, § 90 Abs. 2 BVerfGG, Art. 267 Abs. 3 AEUV, §§ 4 Abs. 1, 4 Abs. 2 AVBGasV, §§ 133, 157 BGB, Anh. A EGRL 55/2003, Art. 3 Abs. 3 EGRL 55/2003

1a. Der ausdrückliche Ausschluss der Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs im Verfassungsbeschwerdeverfahren hat – wie vorliegend – zur Folge, dass eine solche auch im Rahmen der Sachprüfung nicht mehr festgestellt werden kann. Andernfalls entstünden nicht auflösbare Widersprüche zwischen der Möglichkeit der Beschwerdeführer, zur Vermeidung einer mangelnden Rechtswegerschöpfung auf eine Rüge rechtlichen Gehörs ausdrücklich zu verzichten (vgl. BVerfG, 13.04.2010 – 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1, 17; BVerfG, 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106, 115 Rn. 27), und der umfassenden verfassungsrechtlichen Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Begründetheit.
Vorliegend bedarf es daher keiner Entscheidung, ob das Unterlassen einer erfolgversprechenden Anhörungsrüge ausnahmsweise dann keinen Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz begründet, wenn – wie vorliegend – für den Beschwerdeführer möglicherweise schwer erkennbar war, ob ein Gehörsverstoß vorliegt.

1b. Zwar liegt in der – naheliegenden – Außerachtlassung unstreitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenvortrags zum vollständig kommunalen Eigentum des beklagten Gasversorgungsunternehmens durch den BGH eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Dies kann der Verfassungsbeschwerde aufgrund des ausdrücklichen Verzichts auf eine Rüge des Art. 103 Abs. 1 GG jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.

2a. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV gleichzeitig das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) verletzt, siehe etwa BVerfG, 28.01.2014 – 2 BvR 1561/12, BVerfGE 135, 155 (231 ff. Rn. 179 ff.). Im Fall der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des EuGH wird Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG demnach verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. BVerfGE 135, 155, 232 f. Rn. 183).

2b. Die insoweit getroffenen Einschätzungen des BGH, dass im konkreten Fall keine bislang ungeklärte oder unklare unionsrechtliche Frage entscheidungserheblich war, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht auf der Grundlage des von ihm angenommenen Sachverhalts nicht zu beanstanden. Er ist in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben (zur Auslegung von Art. 3 Abs. 3 i. V. m. Anh. A EGRL 55/2003 siehe EuGH, 23.10.2014, C-​359/11 u. a., ABl. EU 2014, Nr. C 439) zu dem Ergebnis gekommen, dass der streitgegenständliche Energielieferungsvertrag unter Berücksichtigung der AVBGasV keine Regelung für Preisänderungen durch den Energieversorger enthält (vgl. BGH, 28.10.2015 – VIII ZR 158/11 Rn. 33, 66; BGH, 28.10.2015 – VIII ZR 13/12 Rn. 35, 68). Weitere unionsrechtliche Fragen – insbesondere im Hinblick auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 i. V. m. Anh. A EGRL 55/2003 – stellten sich für ihn nicht.
aa. Die Verpflichtung der nationalen Gerichte, diejenige Auslegung des nationalen Rechts zu wählen, die dem Inhalt der Richtlinie in der vom EuGH entschiedenen Auslegung entspricht (vgl. BVerfG, 08.04.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, 237), findet ihre Grenzen in dem nach der innerstaatlichen Rechtsordnung methodisch Erlaubten sowie in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot. Sie kann nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (vgl. EuGH, 08.10.1987 – Kolpinghuis Nijmegen, 80/86, Slg. 1987, 3969 Rn. 13; 15.01.2014 – Association de médiation sociale, C-​176/12 Rn 39).
Ob und inwieweit das nationale Recht eine richtlinienkonforme Auslegung zulässt, entscheiden die nationalen Gerichte (vgl. BVerfG, 26.09.2011 – 2 BvR 2216/06, BVerfGK 19, 89, 99 f.; vgl. EuGH, 16.07.2009 – Mono Car Styling, C-​ 12/08, Slg. 2009, I-​6653 Rn. 63).
bb. Mit diesen Vorgaben steht die Annahme des BGH in Einklang, wonach eine richtlinienkonforme Auslegung von § 4 Abs. 1, Abs. 2 AVBGasV dahingehend, dass ein Preisänderungsrecht des Energieversorgers eine vorherige Information über Anlass und Voraussetzungen der Preisänderung voraussetzt, vor diesem Hintergrund nicht in Frage komme.
cc. Zwar hat der BGH den unstreitigen Vortrag zum vollständigen kommunalen Eigentum der Beklagten nicht berücksichtigt. Unter Außerachtlassung dieser Tatsache bestehen auch insofern keine verfassungsrechtlichen Bedenken, als der BGH eine unmittelbare Anwendung der EGRL 55/2003 ablehnte, da sich der Einzelne grundsätzlich nur gegenüber dem Staat oder Organisationen oder Einrichtungen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten, unmittelbar auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen könne (vgl. EuGH, 26.02.1986 – Marshall, 152/84, Slg. 1986, 723 Rn. 48; EuGH, 05.10.2004 – Pfeiffer​, C-​397/01, Slg. 2004, I-​8835 Rn. 109; stRspr).

2c. Die Frage, wie die durch die Unionsrechtswidrigkeit von § 4 Abs. 1, Abs. 2 AVBGasV entstandene Lücke im Energielieferungsvertrag zwischen den Beschwerdeführern und der Beklagten zu schließen war, war trotz der von der Bundesrepublik Deutschland nicht fristgerecht umgesetzten Vorgaben der EGRL 55/2003 eine Frage des nationalen Rechts.
Auch die von den Beschwerdeführern erwähnte Entscheidung des EuGH vom 14.06.2012 (Banco Español de Crédito SA, C-​618/10 Rn. 58 ff.) äußert sich nicht zu (bislang nicht bekannten) unionsrechtlichen Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung und arbeitet auch keine allgemeinen unionsrechtlichen Vorgaben für den Fall der Notwendigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit von Vertragsklauseln heraus.

3. Die vom BGH – nach dem Vorstehenden rechtsfehlerhaft – vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung überschreitet zudem nicht die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung oder des allgemeinen Willkürverbots.

(Leitsätze des Gerichts)

BVerfG, Beschl. v. 17.11.2017 – 2 BvR 1131/16
vorgehend: BGH, Beschl. v. 26.04.2016 – VIII ZR 76/13

DOI: https://doi.org/10.37307/j.2194-5837.2018.03.14
Lizenz: ESV-Lizenz
ISSN: 2194-5837
Ausgabe / Jahr: 3 / 2018
Veröffentlicht: 2018-05-16
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