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Retail-Compliance – Organisation und Funktionsweise von Compliance im Privatkundengeschäft

Nicht zuletzt die letzte Finanzmarktkrise in den Jahren 2008/2009, die Prokon-Insolvenz, die Erweiterung der Aufgaben der BaFin um den Verbraucherschutz sowie die Möglichkeiten der BaFin, den Produktvertrieb einzuschränken oder zu verbieten haben eine breite und intensive Diskussion ausgelöst, was Banken dürfen und was nicht. Zudem stellt sich daran anschließend die Frage, selbst wenn eine Dienstleistung erbracht werden darf, ob sie aus ethischen bzw. Reputationsgesichtspunkten tatsächlich auch erbracht werden sollte. Wenig verwunderlich ist dabei, dass ein Teil der Diskussionen die Compliance-Funktion zum Thema hat. Dabei stehen die Wohlverhaltenspflichten (Conduct-Rules) im Mittelpunkt der Diskussion, insb. im sog. Retailgeschäft.

Presse, Öffentlichkeit und Politik sehen Kleinanleger aufgrund der Vorkommnisse der jüngeren und etwas älteren Vergangenheit weiterhin als besonders schützenswert an. Die Compliance-Funktion soll – zumindest in Teilen – zum Anlegerschutz beitragen. Als unabhängig einzurichtende und dauerhaft wirksame Stelle erscheint Compliance prädestiniert, die Achtung des Kundeninteresses zu überwachen.

Dieser Ansatz findet sich auch in verschiedenen Publikationen und Initiativen wieder. Dazu zählen beispielsweise die MaComp, erstmals publiziert im Jahre 2010, die Best Practice Leitlinien des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) aus 2011, aber auch das Kleinanlegerschutzgesetz aus 2015 und nicht zuletzt die Anforderungen aus der MiFID II bezogen auf den Anlegerschutz. Den dort formulierten Anforderungen kann an vielen Stellen entnommen werden, dass sie vor allem auf das Retailgeschäft abzielen. Als wesentliche Änderungen seien hier beispielsweise die Aufzeichnung elektronischer Kundenkommunikation inkl. Telefonaufzeichnung, welche zu Geschäftsabschlüssen bzw. der Erteilung einer Order führen kann, die neuen Anforderungen im Rahmen der Product Governance, wie z. B. die Zielmarkbestimmung, oder auch die Pflicht zur Erstellung einer sog. Geeignetheitserklärung im Rahmen der Anlageberatung, welche das 2009 eingeführte Beratungsprotokoll ersetzt genannt.

Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über die Struktur und die Kundenbedürfnisse, aber auch die organisatorischen und prozessualen Anforderungen an die Behandlung des Retailgeschäfts in Wertpapierdienstleistungsunternehmen liefern. Dabei wird insb. auf die Bedeutung der Beratungs- und Kontrollfunktion von Compliance eingegangen, wie sie gesetzlich und aufsichtsrechtlich definiert wird. Die Ausführungen sind vor allem als Diskussions- und Thesenpapier zu verstehen, in dem Praktiker ihre Erfahrungen und Denkansätze einzubringen versuchen. Die praktischen Erfahrungen werden in einem vergleichsweise großen Retail-Vertrieb gesammelt. Viele der diskutierten Ideen können daher möglicherweise nur bedingt auf kleinere Institute oder Compliance-Einheiten übertragen werden. Im Übrigen wird aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung der Begriff „Bank“ für die betroffenen Finanzdienstleistungs- oder Wertpapierdienstleistungsunternehmen genutzt.

Seiten 285 - 313

Dokument Retail-Compliance – Organisation und Funktionsweise von Compliance im Privatkundengeschäft